Flying toilets in Kenia – Andacht zum Welt-Toilettentag
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte im Jahr 2013 den 19. November zum Welt-Toiletten-Tag der Vereinten Nationen. Hintergrund ist der Kampf für Sanitäranlagen, für den sich die Welttoilettenorganisation seit 2001 einsetzt: Für mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung fehlen ausreichend hygienische Sanitäreinrichtungen.
Gerade in den Entwicklungsländern haben 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Toiletten. Dadurch haben diese Regionen mit verschmutzten Wasser und daraus resultierenden Krankheiten wie Durchfall zu kämpfen. Nach Ansicht der Welttoilettenorganisation sind hygienische und zweckmäßige Toiletten eine Notwendigkeit und ein grundsätzliches Menschenrecht. Sie bedeuten Würde und sind ein Symbol für den Fortschritt einer Gesellschaft.
Matthias Kerschbaum, Generalsekretär des CVJM Baden, war im Sommer in Kenia und hat seine Erfahrungen rund um die Notdurft der Menschen in diesem Land in einer Andacht zusammengefasst:
Die geplatzten Plastiktüten des Lebens
„Sofort steigt einem der markante Duft, vielleicht eine Kombination aus Popcorn, Urin und Männerschweiß, in die Nase. Auf einer Partnerschaftsreise zum YMCA Kenia besuchen wir einen der örtlichen Branches, den YMCA inmitten des Slums Kibera. Aufgrund von Straßenbauarbeiten hält unser Fahrzeug bereits ein Stück vor dem Ziel und so betreten wir in diesem Moment tatsächlich Neuland als wir uns Schritt für Schritt durch die engen Gassen schlängeln.
Nach einigen hundert Metern in dieser Welt zwischen Menschen in Anzügen, zusammenbrechenden Baracken, Schlammlöchern, traurigen Blicken und unwirklicher Jahrmarktatmosphäre kommt uns Ken, der CVJM-Sekretär des YMCA Kibera entgegen, begrüßt uns herzlich und erzählt auf dem Weg, dass er selbst aus diesem Slum stammt. Auch heute wohne er noch mit seiner Frau und seinem Kind dort, weil er hier etwas davon weitergeben wolle, was er selbst Gutes geschenkt bekommen habe.
Von einer Reiseteilnehmerin erfahre ich unterwegs, dass die Menschen sich helfen, indem sie ihr Geschäft in Plastiktüten machen, diese zusammenknoten und dann, weil sie nicht wissen wohin damit, einfach irgendwohin werfen. Falls diese Wurfsendungen dann beim Nachbarn landen, kann es gut sein, dass diese auch ziemlich schnell wieder zurückkommen. Es kommt dabei gar nicht so selten vor, dass diese Tüten dann aufgeplatzt auf dem Weg zu finden sind. Die Menschen nennen diese Praxis etwas humorvoll „flying toilets“. Daran erinnere ich mich, als ich die Tütenreste auf dem trotz Trockenheit schlammigen Weg bemerke.
In diesem Moment als ich diese Zeilen schreibe, wird es mir unwohl: Kann man so etwas Intimes überhaupt erzählen? Die Menschen versuchen ja nur mit ihrer Not umzugehen. Aber gerade um diese Menschen mit ihren Grundbedürfnissen nicht alleine zu lassen, will ich dieses Erlebnis teilen.
Als wir später am Eingang des YMCA Kibera ankommen, entdecke ich direkt am Eingang eine öffentliche Toilette. Dieses Bild bleibt bei mir hängen. Der CVJM ist dort, wo die Not am größten ist. Der CVJM ist ein Ort, an dem sich Menschen Erleichterung verschaffen können. Beim CVJM gibt es Platz für die geplatzten Plastiktüten des Lebens.
Wir wäre es, wenn wir in Vertrauensräume investieren würden, durch die junge Menschen frei werden, ihr Inneres preiszugeben. Ihr Herz auszuschütten. Das tut gut. Sogar die unschönen und unappetitlichen Dinge will Gott haben. Der „Stuhlgang der Seele“ (Lichtenberg) ist dort am besten aufgehoben.
Plötzlich geschieht Beichte, ohne dass man unbedingt wissen müsste, dass das so heißt. Ganz im Gegensatz zu den „flying toilets“ darf jede und jeder sicher sein, dass einem diese Dinge nicht mehr um die Ohren fliegen.
Wie wichtig „Space“ (vgl. youth empowerment, YMCA Weltratstagung 2014) ist, wird außerdem deutlich, als wir durch das Tor auf das Gelände treten. Aus dem Gedränge der Straße betreten wir einen Ort, der zum durchatmen, spielen und lernen einlädt. Ein befreiendes Erlebnis. Das Wort „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Ps 31,9) gibt wieder, was wir als Gruppe in diesem Augenblick empfinden.
Es benötigt sichere Räume, in denen jungen Menschen angstfrei fürs Leben lernen und in denen sie sich mit ihren Gaben und Grenzen frei entfalten können. Dazu gehören zwingend Rahmenbedingungen, die jedem einzelnen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. Dafür muss es auch rund ums stille Örtchen richtig laut werden.“