Jesus inkognito
Impuls zum Wochenspruch 2. – 8. September 2012
Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Matth.25,40)
Diese Beispielgeschichte von Jesus hat es in sich. Sie ist Teil seiner genannten Endzeitreden. Jesus spricht von einem Tag der Abrechnung, dem sich jeder stellen muss. Genauer gesagt, von dem Tag, an dem jeder Mensch vor dem König erscheinen wird. Jeder wird von ihm beurteilt werden. Sein Urteil ist unbestechlich und gerecht. Und weil es das Urteil des Königs ist, ist es endgültig. Das war den Zuhörern klar.
Jesus erzählt weiter, dass die Menschen in zwei Gruppen geschieden werden. Die Einen werden von ihm angenommen, die anderen abgewiesen. Beide fragen nach dem Grund dafür. In beiden Fällen ist die Antwort ähnlich. Der König sagt, dass er ihnen schon einmal begegnet ist, und dass ihre Reaktion auf ihn zu dieser Entscheidung geführt hat. Als er hungrig war, haben die Einen ihm zu Essen gegeben, die anderen nicht. Als er durstig war, haben die Einen ihm Wasser gegeben, die anderen nicht. Und so fährt er fort.
In beiden Fällen erzählt Jesus von der erstaunten Reaktion der Menschen. „Wann sind wir dir begegnet? Wann haben wir dich gespeist, besucht, dir geholfen?“ Seine Antwort ist klar: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Und das Gegenteil stimmt auch: Wo sie anderen Hilfestellung untersagt haben, oder sie einfach unterließen, da haben sie das auch dem König gegenüber nicht getan.
Mit dem König meint Jesus in der Beispielerzählung sich selbst. Das ist das Verstörende: Jesus ist inkognito in der Welt. Gerade unter den „Geringsten“ ist er zu finden. Und gerade weil er inkognito ist, kann er in jedem dieser „Geringsten“ sind. Ja, er ist immer vor uns, neben uns, begegnet uns in den Situationen unseres Lebens. Jesus solidarisiert sich mit den Menschen so sehr, dass ein Dienst für ihn und ein Dienst für seine „geringsten Brüder“ nicht unterscheidbar ist.
Jetzt kann man dieses Gleichnis, diese Beispielgeschichte gründlich missverstehen. Jesus will nicht sagen, dass wir uns den Himmel verdienen können durch richtiges Verhalten. Vielmehr will er uns zeigen, dass er immer da ist, und dass wir es in unserem ganzen Leben immer auch mit ihm zu tun haben. Wir leben unser Leben immer vor ihm und zu ihm hin. Dabei geht es nicht um religiöse Übungen oder frommen Rückzug aus der Welt, sondern um das Leben und Dasein für andere mitten im Alltag.
Dass der König, der Richter, zugleich der gute Hirte ist und das Lamm Gottes, das die Schuld der Welt trägt, macht uns dabei getrost. Wir können wissen: Wir haben es im Leben und im Sterben, und auch im letzten Gericht, immer mit Jesus zu tun.
So wird auch diese ernste Botschaft aus den Endzeitreden von Jesus letztlich zu einem Teil der guten Nachricht: Nicht die Menschen um uns herum, nicht die Machthaber dieser Welt, oder die Meinungsmacher unserer Zeit, sondern Jesus allein wird das letzte Urteil über unser Leben sprechen. Und sein Wort, das Wort des Königs, der zum Knecht, zum Geringsten, wurde, wird beides zugleich sein: Gerecht und voller Gnade.