Eine seltene Tugend
Impuls zum Wochenspruch
Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (1. Petrus 5, 5)
Es gibt Dinge, die sind eigentlich unmöglich. „Denke nicht an einen rosaroten Elefanten!“ Diese Aufforderung ist gemein. Denn selbst wenn ich bis dahin noch nie an einen Elefanten, geschweige denn einen rosaroten, gedacht habe, werde ich es spätestens jetzt tun. Denn jetzt ist meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt, und im Versuch, nicht an dieses sonderbare Tier zu denken, denke ich gerade erst recht daran.
Ähnlich ist es mit der Aufforderung zur Demut. „Sei demütig!“ Meine erste Reaktion: „Ich bin doch demütig! Auf jeden Fall bin ich demütiger als XY, der ist ziemlich von sich selbst überzeugt!“ Wir merken: Demut ist nicht etwas, das wir einfach mal spontan, sozusagen im luftleeren Raum, produzieren können. Demut ist vielmehr eine Frage der Beziehung, der Beziehung untereinander und auch zu uns selbst. Man könnte auch sagen: Demut ist eine Eigenschaft, sondern eine Handlung, kein Substantiv, sondern ein Verb. Das habe ich versucht, in meiner Übersetzung herauszustellen: „Lasst euren Umgang miteinander von Demut geprägt sein! Denn es stimmt: »Gott stellt sich gegen die, die von sich selbst eingenommen sind, aber denen, die demütig sind, schenkt er seine Gnade.“
So geht es also nicht darum, dass ich ein „demütiges Gefühl“ habe, was immer das sein mag, sondern es geht darum, dass ich mich gegenüber anderen respektvoll und angemessen verhalte. Das hat natürlich mit meiner Sicht von mir selbst und von den anderen zu tun. Doch das ist letztlich keine Gefühlsfrage, sondern hängt mit unserer – möglichst realistischen – Selbsteinschätzung zusammen.
Manche Christen verwechseln Demut mit einem Minderwertigkeitsgefühl. Doch das ist genau das Gegenteil! Aus solch einer gebrochenen Selbstsicht entspringen häufig eher verletzende Abwehr und arrogantes Verhalten. Demut statt dessen, oder, um das griechische Wort noch genauer zu übersetzen: Die Kraft unter einer Last drunter zu bleiben und sie zu tragen, erfordert Größe und ein geheiltes Selbstwertgefühl. Wenn wir das haben, können wir auch anderen respektvoll, nachsichtig, aufmerksam, interessiert und lernbereit begegnen. Eben voller Demut.
Ich hoffe, dass meine Überschrift nicht stimmt, und dies trotz allem keine „seltene Tugend“ ist.