Medienkompetenz und Jugendschutz

FSK stellt neue Studie zur Wirkung von Kinofilmen auf die Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen vor.

Über die Studie „Medienkompetenz und Jugendschutz“.

Über die Studie „Medienkompetenz und Jugendschutz“.

Die große Lust von Jugendlichen und Kindern an dem Anschauen von Filmen hält an. Nach Angaben der Spitzenorganisation der Film- und Videowirtschaft wurden 2012 etwa 25 Millionen Kinokarten an 10 – 19-Jährige verkauft. Der private Austausch über Filme auf dem Schulhof und im Freundeskreis schreibt die gesehenen Geschichten fort. Merchandising-Produkte tragen sie hinein in die kindlichen und jugendlichen Spielwelten.

Jugendschützer und Pädagogen sorgen sich, dass die Freizeitgestaltung zunehmend von der Beschäftigung mit Gewaltdarstellungen bestimmt und Entwicklungsprozesse wie Identitäts- und Geschlechtsrollenbildung von medialen Bildern überlagert werden.

Mit der Studie „Medienkompetenz und Jugendschutz“ unterstützte die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) nun zum vierten Mal eine wissenschaftliche Studie, in der 517 Schüler zur Wirkung von Kinofilmen befragt wurden. Analysiert wurden die Filme „Die Tribute von Panem – The Hunger Games“, „Kriegerin“, „Dirty Girl“ und „Chronicle – Wozu bist Du fähig?“ Schwerpunkt der Aufmerksamkeit waren diesmal Fragen von „Körper, Geschlecht und sozialer Identität“.

Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Grimm und Stefan Linz, Sprecher der Film- und Videowirtschaft bei der FSK

Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Grimm und Stefan Linz, Sprecher der Film- und Videowirtschaft bei der FSK

Die vom Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Grimm (Wien) durchgeführte Studie wurde am 10. März 2014 in Wiesbaden von Irene Alt, Kinder- und Jugendministerin des Landes Rheinland-Pfalz, Birgit Goehlnich, Ständiger Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK, Johannes Klingsporn, Jugendschutzbeauftragter der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und Stefan Linz, Sprecher der Film- und Videowirtschaft bei der FSK sowie den Schülern Hedwig Deckers und Paul Pehoviak  und deren Lehrer, stellvertretend für die  teilnehmenden Schulen, präsentiert.

Jugendliche Lebenswelten sind, mit all ihren immanenten Spannungen, Hoffnungen und Ängsten, immer auch Bilderwelten, in denen nach individuellem Sinn und Verortung gesucht wird, um die sensible Jugendphase mit multiplen Orientierungen anzureichern. Die „Suchbewegungen“ von Kindern und Jugendlichen nach Berücksichtigung ihrer Brüchigkeits-Erwartungen, Abschätzung von Lebenschancen, und Grenzerfahrungen der Subjektwerdung vollziehen sich in einer von massenmedialen Symbolen beherrschten Lebenswelt.

Jugendliche seien in der Lage sich kritisch mit filmischen Inhalten und Charakteren auseinanderzusetzen und erführen durch die Rezeption von Filmen eine Rollenerweiterung, erklärt Jürgen Grimm. „Es gibt immer positive Wirkungen von Filmen, sonst würden Kinder das nicht anschauen.“

Medial vermittelte Kulturen („Medienkulturen“) sind als Bezugssysteme und Unterhaltungsformen Manifestationen unterschwelliger Hoffnungen und Sehnsüchte, denen die Menschen durch den feststellbaren und zählbaren Konsum von Medien Ausdruck geben. Mittels rezeptionstheoretischer Modelle können Wirkung und Auswirkungen von Filmen und ihren Inhalten dargelegt werden.

Die FSK habe auch durch diese Studie ihre Entscheidungen für Jugendliche hinsichtlich der Altersfreigaben von Filmen transparent gemacht und gleichzeitig ließe sie deren Einschätzungen in ihre Arbeit einfließen, erläutert Christiane von Wahlert. Die nun vorliegenden Erkenntnisse würden bereits in der aktuellen Prüfarbeit berücksichtigt. Dadurch würden Jugendliche und Kinder als „Experten in eigener Sache“ wahrgenommen und nicht bloß als „Adressaten“.

Auch wenn zumindest die mediale Diskussion sich vornehmlich um Gewaltphänomene dreht, kann moderne Medienwirkungsforschung nicht ohne die Frage nach nicht nur negativen, sondern auch positiven Reaktionen auf die gezeigten und erlebten Inhalte verbleiben.

So konnte durch die Studie, laut Jürgen Grimm, das jugendliche Interesse an Orientierung in Alltags- und Identitätsbildungsprozessen als einem wichtigen Faktor für die  „Zuwendungsattraktivität“ von Filmen herausgearbeitet werden. Diese helfe sowohl bei der Loslösung vom Elternhaus, bei politischen Themen und auch Geschlechterrollenausprägungen.

Filme dürften, wie übrigens auch Videospielinhalte, in ihrer Summe das Repertoire individuell akzeptierter Handlungsoptionen durchaus anreichern. Eine große Zahl von Studien hat diese Analogie schon früher aufscheinen lassen. Die äußere Rhetorik eines Films wirkt so auf die Handlungsbereitschaft und –akzeptanz von Zuschauern zurück, wenngleich die innere Rhetorik auf der Handlungsebene stets in der für den Moment der Betrachtung erzeugten Realität verbleibt.

Der immer weiter gesteigerte Realismus von Ton und (tricktechnisch animierter) Bildebene schafft neue Formen visuellen Realismus’, der durch stets verbesserte 3D-Projektionsverfahren noch erhöht wird.

Es konnten in der vorgelegten Studie Veränderungsprozesse durch die Medienwirkung nach und vor der Rezeption des Filmes beobachtet werden, wie zum Beispiel eine „Flexibilisierung von Geschlechtsrollenidentität“, so Jürgen Grimm. „Kurzfristige Veränderungen verwandeln sich in Langfristige.“, ist sich der Experte sicher.

Die wichtige Frage, inwiefern Filme im Verbund mit anderen Medienangeboten die Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen determinieren, beeinflussen oder gar prägen bleibt ein wichtiges Thema sowohl für die wissenschaftlichen wie auch praktischen Arbeitsfelder mit und für Jugendliche.

Johannes Klingsporn, der Jugendschutzbeauftragte der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), betont insbesondere, dass die Frage nach der Medienwirkung von Einzelmedien oder Genres eine der Vergangenheit sei. Heute müssten medienpädagogisch vermittelt grundsätzliche Kritikfähigkeit und Analysekompetenzen im Vordergrund stehen, da etwa über das Internet viele Medien zu beziehen wären, die keiner Jugendschutzprüfung unterzogen worden wären und die zudem in einer unkontrollierbaren Intensität konsumiert würden.

Besonders auf die Medienkompetenzvermittlung als generationenübergreifende Aufgabe unter Einbeziehung von Eltern und Bezugspersonen, aber auch von Jugend-, Gemeinde- und Sozialarbeitern ist zu verweisen. Ihnen kommt eine große Bedeutung zu als erste Ansprechpartner, als Frühwarnsysteme vor medial induzierten Oberflächenphänomenen (Mediensucht, -missbrauch, -gewaltverherrlichung etc. und ebenso als Multiplikatoren im sozialen Raum.

Niederschwellige Medienkompetenz bedarf der Fachkompetenz von Menschen wie auch aufmerksamer Strukturen in Schulen, Familien-, Gemeinde- und Stadtteilzentren, die nicht zuletzt kulturell und interkulturell wirken müssen und der Vernetzung mit bestehenden Angeboten auf lokaler und überregionaler Ebene (Stadtbüchereien, Volkshochschulen, Landesbildstellen).

Die gesamte Studie und komplementäres Begleitmaterial findet sich unter www.medienkompetenz-jugendschutz.de.

Von der Pressekonferenz berichteten für die CVJM-Hochschule:

  • Prof. Dr. Stefan Piasecki (44), forscht dort zu Medien- und Kommunikationsfragen. Dozent für Handlungsfelder der Sozialen Arbeit.
  • Cindy Gresselmeyer (40), Erzieherin, langjährige Leiterin der Gemeinde-Teenarbeit und Studentin der Sozialen Arbeit an der CVJM-Hochschule in Kassel.

Im Rahmen ihres Projektes “Innenwelten – Außenwelten” untersuchen sie Wirkung und Rückwirkung von mediengestützter Kommunikation auf die Jugend- und Gemeindearbeit und verbinden Fragen mediengestützter Kommunikation und virtueller Emotionalität mit Praxisansätzen der Sozialen und Gemeindearbeit sowie in hybriden Lernumgebungen.

 

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