Wie ein Internationaler Freiwilligendienst Biografien verändert
Am Pfingstwochenende trafen sich auf dem Himmelsfels, einer Lebens- und Glaubensgemeinschaft bei Kassel, ehemalige Internationale Freiwillige des CVJM. Das Treffen unter dem Namen „Homebase“ bot ihnen die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen.
Unter den Teilnehmenden waren auch die beiden 21-jährigen Hannah Wendling und Ellen Ohlhauser. Sie waren beide im Jahrgang 2015/2016 für einen Freiwilligendienst im Ausland: Hannah in Salem, Indien, und Ellen in Bogotá in Kolumbien. Hannah studiert inzwischen Soziologie sowie Medizin und Ellen Theologie.
Beim Homebase unterhielten sie sich mit Gerhard Wiebe, Bereichsleiter CVJM weltweit, über die Auswirkungen ihres Freiwilligendienstes auf ihre Biografie.
Welches Erlebnis aus eurem Freiwilligendienst ist euch besonders in Erinnerung geblieben?
Hannah: Für mich war das die Möglichkeit, in einem Projekt in ein Gefängnis mitzugehen. Ich war beeindruckt, wie der YMCA Salem Gottes Liebe an einen dunklen Ort trägt. Viele Jugendliche dort werden berührt und verändert. Da sind ganz tolle und inspirierende Leute beim YMCA Salem, die ein Herz dafür haben, Menschen mit Gottes Augen zu sehen.
Ellen: Bei mir war es ein Projekt mit Kindern in einem Wald oberhalb von Bogotá. Das ist schon sehr besonders, dass es in einer Elf-Millionen-Großstadt einen richtigen Wald gibt. Die Kinder haben aus dem Spielen so viel mitgenommen und sind voll im CVJM aufgegangen.
Sie fanden das total krass, dass wir aus Deutschland kommen. Aber eigentlich gibt es da gar keine Vorstellung, weil sie zum Teil mit ihren Eltern noch nicht einmal im Stadtzentrum waren. Vom Rand der Stadt bis runter zu den Hochhäusern, die man vom Berg aus sieht, diese Distanzen, die für uns so schnell und kurz sind, die sind da so unüberwindbar.
Seid ihr der Meinung, dass euch der Freiwilligendienst irgendwie nachhaltig verändert hat? Und wie?
Ja. Ja. (beide lachen)
Hannah: Oh ja, auf jeden Fall. Ich wurde mit Themen konfrontiert, denen ich nicht ausweichen konnte. Der Freiwilligendienst hat mich nicht sofort verändert und so bin ich auch heute noch. Er hat eher einen Prozess angestoßen, der nun weitergeht.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, welche Themen mich jetzt beschäftigen würden, wenn ich das nicht gemacht hätte. Ich glaube, dass da das große Netzwerk im YMCA auch was Besonderes ist. Man ist weiter mit CVJMern in Kontakt und mit ihnen in ähnlichen Themen unterwegs. Das hört nach dem Jahr nicht auf. Man hat nicht das Gefühl, dass man da was abgeschlossen hat. Es verändert weiter.
Ellen: Es war ein stückweit eine krasse Situation nach dem Abi in eine andere Welt geworfen zu werden: sowohl in die Arbeitswelt als auch in die Kultur. Ich interessiere mich weiterhin für Themen aus Kolumbien und Bogotá, auch für die Politik dort, weil ich dort Menschen kenne und dadurch einen Bezug dazu habe.
Hatte der Freiwilligendienst auch Auswirkungen auf eure Biografie und auf das, was ihr jetzt macht? Berufs- und Studienwahl mag das eine sein, aber auch Interessen für gewisse Themen oder irgendwelche Freundschaften?
Hannah: Bei mir hat es sich durchaus auf die Studienwahl ausgewirkt. Soziologie gibt mir die Möglichkeit auf viele Themen noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu schauen.
Aber es zeigt sich auch in vielen kleinen Entscheidungen, die man so trifft: Wie ich auf die Welt blicke. Wie ich auch hier in Deutschland mit Interkulturalität umgehe. Ich finde es cool, dass ich da immer weiter lernen darf.
Ellen: Ich finde es sehr wichtig, dass der Freiwilligendienst auch die Vorbereitungs- und Rückkehrerseminare mit einbezieht.
Hannah: Ja.
Ellen: Ich würde auch sagen, dass die mitgeholfen haben, das Erlebte einzuordnen und sich auch noch einmal reflektierter damit zu beschäftigen.
Ich beschäftige mich auch viel mit dem Thema Gerechtigkeit und Sklaverei. Da merke ich schon, dass ich auch immer wieder an meinen Freiwilligendienst zurückdenke und an Situationen, die ich mitbekommen habe. Dadurch ist so ein Thema noch einmal näher und man merkt, dass man, wenn man die Augen aufmacht, solche Themen auch in Deutschland finden kann.
Wie engagiert ihr euch in CVJM in Deutschland? Welche Erfahrungen aus eurem Freiwilligendienst könnt ihr in den CVJM-Kontext einbringen?
Ellen: Ich bin im CVJM in Heidelberg Mitglied. Da bin ich in der Studiarbeit dabei und auch bei Seminaren beim CVJM Deutschland. Ich finde es schwierig, da Erfahrungen mit einzubringen, weil der Kontext nicht immer da ist: Es ist oft so, dass regionale CVJM regionale Themen haben. Aber es gibt auch immer wieder Gelegenheiten, mal einen Vortrag zu halten. Ich achte auch z. B. besonders auf faire Produktion. Solche Dinge bringe ich ein.
Hannah: Ich bin über den CVJM in den Freiwilligendienstseminaren dabei und finde es auch schön, dass man als Ehrenamtliche die Möglichkeit hat, die Freiwilligendienste weiterzudenken. Dass wir nicht nur Programme abspulen in den Seminaren, sondern dass wir wirklich einen sehr lebendigen Diskurs darüber führen, was Freiwilligendienste für den CVJM sein können. Das erlebe ich als sehr wertvoll für alle Seiten. Wir Haupt- und Ehrenamtlichen können da ganz viel voneinander lernen.
Ich bin auch in einer CVJM-Gruppe in Freiburg, da sind genau diese Punkte auch wichtig: Wir sind noch sehr klein, haben aber dadurch auch die Chance und die Perspektive, uns überall gute Dinge abzuschauen und ganz viel im Dialog zu bleiben mit Leuten, wie Dinge strukturiert werden können und wo es hingehen kann und was die Vision ist, um junge Menschen zu erreichen.
Vielen Dank für das spannende Gespräch und euch beiden alles Gute.
Ein weiteres Interview zum Thema, wie ein Internationaler Freiwilligendienst Biografien verändern kann, findet ihr in der aktuellen Ausgabe des CVJM Magazins.